Änderung eines Steuerbescheides trotz Bestandskraft des Steuerbescheides
Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte mit seinem Urteil vom 27. August 2013 (Aktenzeichen VIII R 9/11) über folgenden Fall zu entscheiden: Ein Ehepaar wurde zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Ehegatte erzielte als Ingenieur Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit. In seiner Einnahmenüberschussrechnung vergaß er bei den Betriebsausgaben die von ihm an das Finanzamt abgeführte Umsatzsteuer. Infolgedessen war der von ihm gegenüber dem Finanzamt erklärte Gewinn um die an das Finanzamt geleistete Umsatzsteuer zu hoch und damit die von dem Finanzamt festgesetzte Steuer. Der Fehler blieb zunächst unbemerkt, die Einspruchsfrist lief ab und der Einkommensteuerbescheid wurde bestandskräftig. Erst danach bemerkte das Ehepaar den Fehler und beantragte die Änderung mit der Begründung, der Steuerbescheid sei offenbar unrichtig.
Das Finanzamt lehnte es ab, den Steuerbescheid zugunsten des Ehepaars zu ändern. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg gab dem Finanzamt Recht (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. September 2010, Aktenzeichen 14 K 14074/09).
Ist ein Steuerbescheid bestandskräftig geworden, dann kann das Finanzamt nur noch Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten berichtigten, die dem Finanzamt unterlaufen sind (§ 129 Abgabenordnung – AO). Dazu ist das Finanzamt sogar verpflichtet, wenn ein berechtigtes Interesse der Beteiligten vorliegt. Das lag hier vor, weil sich der Steuerbescheid für das Ehepaar nachteilig auswirkte.
Mit offenbaren Unrichtigkeiten sind allerdings nur mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler gemeint. Allerdings muss sich die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst ergeben. Daher genügt es auch, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt. Allerdings muss das Finanzamt die offenbare Unrichtigkeit dieser Angaben auch selbst erkennen können, weil ihm ansonsten keine eigene offenbare Unrichtigkeit vorgeworfen werden kann.
Keine offenbare Unrichtigkeit liegt allerdings dagegen dann vor, wenn sich das Finanzamt bei dem Fehler etwas gedacht hat. Das ist dann der Fall, wenn das Finanzamt eine Rechtsnorm fehlerhaft anwendet oder auslegt, Tatsachen unrichtig würdigt, ihm ein sonstiger Denk- oder Überlegungsfehler in Bezug auf den Sachverhalt unterläuft, oder wenn es unzutreffend einen in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalt annimmt.
Eine offenbare Unrichtigkeit liegt aber auch dann nicht vor, wenn das Finanzamt den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt hat und der Fehler darauf beruht. Das kann der Fall sein, wenn sich das Finanzamt bei dem Fehler nichts gedacht, sondern die Angaben des Steuerpflichtigen unkritisch übernommen hat. Beruht der Fehler allein darauf, dass das Finanzamt den Sachverhalt nicht richtig aufklärte, dann liegt kein mechanischer Übertragungsfehler vor. Unerheblich ist in einem solchen Fall, ob das Finanzamt verpflichtet gewesen wäre, den Sachverhalt näher zu prüfen und aufzuklären.
Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg ging in diesem Fall davon aus, dass dem Finanzamt ein Fehler bei der Aufklärung des Sachverhalts unterlief, und somit keine offenbare Unrichtigkeit vorlag. Denn nach den Feststellungen des Finanzgerichts hätte das Finanzamt die Unrichtigkeit nicht ohne weitere Prüfung erkennen können. Der Sachbearbeiter bei dem Finanzamt hätte nur durch weitere Ermittlungen, etwa „im Rahmen einer computergestützten Erhebungsauskunft oder durch Nachfrage bei der Erhebungsstelle“, ausfindig machen können, ob und wie viel Umsatzsteuer in den betreffenden Jahren jeweils an das Finanzamt abgeführt wurden.
Der Bundesfinanzhof war da anderer Ansicht. Anders als das Finanzgericht meinte, sei es ausgeschlossen, dass der Fehler darauf beruhe, dass das Finanzamt den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt habe. Dies sei eine rein hypothetische Annahme. Denn aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten und damit auch aus der Sicht des Finanzamtes ergebe sich, dass die Umsatzsteuerzahlungen, die ja insgesamt fehlten, und die das Finanzamt bei der Festsetzung der Umsatzsteuer auch berücksichtigte, nur aufgrund eines mechanischen Versehens des Ingenieurs nicht in seinen Einkommensteuererklärungen aufgenommen worden waren.
Mit diesem Urteil ging der Bundesfinanzhof noch etwas weiter als ein anderer Senat des BFH mit Urteil vom 14. Juni 2007 (Aktenzeichen IX R 2/07). Dort waren in der Einnahmenüberschussrechnung versehentlich die Vorsteuerbeträge bei den Betriebsausgaben vergessen worden. Anders als in dem jetzt entschiedenen Fall hatte der Sachbearbeiter jedoch alle notwendigen Informationen dazu in seiner Akte.
Der Bundesfinanzhof urteilte hier nicht nur sehr großzügig zugunsten des Steuerpflichtigen, sondern auch pragmatisch. Denn für einen objektiven außenstehenden Dritten kommt es nicht darauf an, welcher Sachbearbeiter des Finanzamts was weiß. Vielmehr darf ein außenstehender Dritter erwarten, dass das Finanzamt umfassend informiert ist. Nach Auffassung des BFH muss das Finanzamt davon ausgehen, dass ein Selbstständiger, der in seiner Einnahmenüberschussrechnung keine an das Finanzamt abgeführte Umsatzsteuer als Betriebsausgabe angab, diese allein aufgrund eines Eingabe- oder Übertragungsfehlers vergaß, wenn er die Umsatzsteuer wie hier ordnungsgemäß erklärte und auch an das Finanzamt abführte. Das Finanzamt durfte sich somit nicht damit hinausreden, der Fehler habe nicht offen zu Tage gelegen, sondern das Finanzamt hätte nur durch eine möglicherweise mühsame Sachverhaltsaufklärung feststellen können, ob und in welcher Höhe Umsatzsteuerbeträge in der Einnahmenüberschussrechnung vergessen wurden. Dem Finanzamt darf also unterstellt werden, dass es seine Akten kennt. Es darf sich bei augenfälligen und erkennbaren Fehlern nicht mit angeblicher Untätigkeit bei der Aufklärung des Sachverhalts aus der Affäre ziehen.
Das Urteil zeigt zwar deutlich, dass man bei der Erstellung der Steuererklärungen immer höchste Sorgfalt walten lassen und Steuerbescheide innerhalb der Einspruchsfrist und vor Eintritt der Bestandskraft sorgfältig prüfen sollte, wenn man keinen Nachteil erleiden will. Fehler aber passieren. Sollte also doch einmal ein Fehler unterlaufen sein, dann muss deshalb noch nicht alles zu spät sein. Sollte sich das Finanzamt weigern, den Fehler zu berichtigen, sollte man daher angesichts dieser Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs prüfen oder prüfen lassen, ob nicht eine offenbare Unrichtigkeit des Steuerbescheides vorliegt, die das Finanzamt korrigieren muss. Es könnte sich lohnen.
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