Auch den Verkäufer (Altgesellschafter) kann die Haftung für eine Unterbilanz treffen
Bereits seit längerer Zeit hat die Rechtsprechung Grundsätze für die Haftung von Käufern eines GmbH-Mantels entwickelt, wenn mittels der bereits vorhandenen Gesellschaft, die nur als Rechtsform besteht, aber noch nicht oder nicht mehr unternehmerisch tätig ist (sog. GmbH-Mantel), ein neues Unternehmen gegründet wird. Nun aber hat ein OLG entschieden, dass eine solche persönliche Haftung auch die Altgesellschafter sprich Verkäufer einer GmbH treffen kann, wenn die verkaufte GmbH im Zeitpunkt des Verkaufs eine Unterbilanzierung aufwies und dann – manchmal Jahre später – insolvent wird.
Zum Hintergrund: Wer eine GmbH oder eine andere Kapitalgesellschaft gründen will, muss mitunter einige Zeit investieren, bis die Kapitalgesellschaft in das Handelsregister eingetragen ist. Verständlich, dass es manch ein Gründer eilig hat und nicht abwarten möchte, bis der Gründungsvorgang abgeschlossen ist, sondern sein Unternehmen gleich mit einer fertigen Kapitalgesellschaft beginnen möchte. Hierfür werden am Markt bereits vollständig gegründete und ins Handelsregister eingetragene Gesellschaften angeboten.
Man unterscheidet zwei Typen von solchen fertigen Gesellschaften. Zum einen sind das Vorratsgesellschaften, zum anderen Mantelgesellschaften. Eine Vorratsgesellschaft wird nur zu dem Zweck gegründet, diese „auf Vorrat“ gegründete Kapitalgesellschaft weiter zu veräußern, wenn sie in das Handelsregister eingetragen wurde. Erst der Käufer stattet die Gesellschaft nach entsprechender Änderung der Satzung der Gesellschaft mit einem Unternehmen aus. Mantelgesellschaften sind stillgelegte Gesellschaften, die ihre bisherige Tätigkeit aufgegeben haben. Sie werden vom Verkäufer leergeräumt und anschließend ohne das Unternehmen, das bislang von dieser Gesellschaft betrieben wurde, als leerer Mantel verkauft. Der Käufer belebt diesen Firmenmantel mit einem anderen Unternehmensgegenstand dann wieder.
Die Anbieter von Vorratsgesellschaften und Unternehmensmänteln werben damit, dass mit dem Kauf einer bereits ins Handelsregister eingetragenen Gesellschaft die Gründungsphase und die damit verbundene Haftung wegfalle, ebenso der lästige Zusatz i. G. – „in Gründung“. Dabei ist die Verwendung von Vorrats- und Mantelgesellschaften für die Unternehmensgründer, die neue Gesellschafter werden, entgegen des Werbeversprechens der Anbieter von Mänteln alles andere als frei von Haftungsrisiken.
Haftung des Käufers (Neugesellschafters)
Schon seit geraumer Zeit sieht die Rechtsprechung in der Mantelverwendung eine wirtschaftliche Neugründung und behandelt die Käufer von Mänteln wie die Gründer der GmbH. Bei den ersten Gründern von GmbHs gilt folgendes: Die Rechtsprechung will für die Erhaltung des Stammkapitals von neu gegründeten Gesellschaften sorgen. Denn eine bereits gegründete GmbH darf zwar, auch bevor sie im Handelsregister eingetragen sind, schon tätig werden, obwohl sie noch keine GmbH ist. Ihre Gesellschafter müssen aber dafür sorgen, dass im entscheidenden Punkt der wirksamen Entstehung einer GmbH, also bei Eintragung in das Handelsregister, noch das Stammkapital zur Verfügung steht. Damit werden die Gesellschafter verpflichtet, der GmbH das zwischenzeitlich verbrauchte Kapital wieder zuzuführen, um die so genannte Unterbilanz auszugleichen. Eine Unterbilanz ist die Differenz zwischen dem satzungsmäßigen Stammkapital der Gesellschaft und dem bei Eintragung noch vorhandenen Gesellschaftsvermögen, das auch negativ sein kann. Gleichen die Gesellschafter die Differenz nicht aus, haften sie gegenüber der GmbH auf Ausgleich der Unterbilanzsumme. Diese Haftung wird als Differenz- oder Vorbelastungshaftung oder auch als Unterbilanzhaftung bezeichnet. In einer späteren Insolvenz kann der Insolvenzverwalter diesen Anspruch der insolventen GmbH geltend machen, und zwar recht lange. Die Verjährungsfrist beträgt 10 Jahre.
Genau diese für erstmalige Gründungen entwickelten Grundsätze sollen gemäß gefestigter Rechtsprechung auch dann gelten, wenn eine Vorrats- oder Mantelgesellschaft genutzt wird, um ein Unternehmen wirtschaftlich neu zu gründen. Die Verwendung des GmbH-Mantels muss nicht nur gegenüber dem Handelsregister offen gelegt werden, vielmehr müssen die Gesellschafter auch dafür sorgen, dass der Gesellschaft bei Aufnahme der neuen wirtschaftlichen Tätigkeit Kapital in Höhe des gezeichneten Stammkapitals zur Verfügung steht. Die neuen Gesellschafter trifft daher die Pflicht, eine Unterbilanz auszugleichen und dafür zu sorgen, dass der Gesellschaft nicht nur das gesetzliche Mindestkapital, sondern das gezeichnete Stammkapital zur Verfügung steht, andernfalls haften auch sie auf Ausgleich der Unterbilanz. Stichtag ist entweder die Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Registergericht oder der Zeitpunkt, an dem die Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit erstmals nach außen in Erscheinung tritt.
Neuerdings hat der BGH die Haftung sogar nochmals erweitert auf den Rechtsnachfolger des Mantelkäufers (Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. März 2012, Aktenzeichen: II ZR 56/10): Der vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommene Käufer hatte den einzigen Geschäftsanteil an einer GmbH gekauft. Die GmbH war ein Jahr vor dem Erwerb der Anteile bereits vermögenslos gewesen, aber dennoch mit einem neuen Unternehmensgegenstand und einer neuen Firma an einem anderen Gesellschaftssitz und mit einer neuen Geschäftsführerin wieder tätig geworden. Hierin lag nach Auffassung des BGH eine wirtschaftliche Neugründung, zu deren Zeitpunkt das Stammkapital nicht mehr vorhanden war. Bei Neugründung lag damit eine Unterbilanzierung vor. Nachdem die GmbH Insolvenz angemeldet hatte, nahm der Insolvenzverwalter den Käufer der GmbH gleichwohl auf Ausgleich der Unterbilanz in Anspruch, obwohl nicht er, sondern sein Rechtsvorgänger, der ihm seinen Geschäftsanteil übertragen hatte, die wirtschaftliche Neugründung vorgenommen hatte, ohne dabei die bestehende Unterbilanz auszugleichen. Der Käufer hatte sogar nach dem Kauf des Anteils einen Betrag in Höhe des Stammkapitals eingezahlt. Es ließ sich aber vor dem BGH nicht mehr klären, ob damit die Unterbilanzierung ausgeglichen werden sollte. Der Fall wurde daher zur Klärung dieser Frage an das zuständige OLG zurückverwiesen.
Der Bundesgerichtshof stützte sich bei seiner Entscheidung auf eine gesetzliche Regelung, nach der der Erwerber eines Geschäftsanteils neben dessen Veräußerer für die auf den Geschäftsanteil rückständigen Leistungen und Einlageverpflichtungen haftet (§ 16 Absatz 2 GmbH-Gesetz). Dazu gehört nach der Rechtsprechung des BGH auch die Pflicht zum Ausgleich einer Unterbilanz der Mantel-GmbH.
Erwerber von Geschäftsanteilen sollten daher genau prüfen, ob es in der Vergangenheit eine wirtschaftliche Neugründung gegeben hat. Wenn der Erwerber in einem solchen Fall vorhat, Kapital nachzuschießen, wie das der Erwerber in dem Fall des Bundesgerichtshofs tat, dann sollte er unbedingt darauf achten, dass er mit einer ausdrücklichen Tilgungsbestimmung den Anspruch auf Ausgleich einer Unterbilanz erfüllt, um nicht später im Falle der Insolvenz noch einmal zahlen zu müssen.
Haftung des Verkäufers (Altgesellschafters)
Nun hat das OLG Düsseldorf noch eins drauf gesetzt und lässt nicht nur den Käufer einer unterbilanzierten GmbH haften, sondern auch den Verkäufer. Diese Entscheidung war eine große Überraschung, denn viele Gesellschafter, die ihr Unternehmen aufgeben müssen, sei es, weil es unrentabel ist, sei es, weil sie keinen Nachfolger finden, sind bislang davon ausgegangen, sie könnten ihre Gesellschaft leer räumen und den Mantel gefahrlos verkaufen, um so ein langwieriges Liquidationsverfahren zu umgehen.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf (Urteil vom 20. Juli 2012, Aktenzeichen I-16 U 55/11), sah das anders und wandte die vom BGH entwickelte Unterbilanzhaftung auch auf Verkäufer von GmbH-Mänteln an. Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen. Das Urteil ist rechtskräftig.
Zum Sachverhalt: Der vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommene Verkäufer hatte eine Vorratsgesellschaft gegründet und das Stammkapital von 25.000 € vollständig eingezahlt. Das Stammkapital nahm der Verkäufer in bar zur Beurkundung des GmbH-Verkaufs beim Notar mit und übergab es dort dem Erwerber. Noch beim Notar gab der Erwerber das Bargeld als Teil des Kaufpreises wieder an den Verkäufer zurück. Zwei Jahre später wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter nahm zunächst den Erwerber der GmbH auf Zahlung der nicht mehr vorhandenen Einlage in Anspruch. Nachdem dieser einen kleinen Teil gezahlt hatte, wandte sich der Insolvenzverwalter an den Verkäufer und verlangte von ihm die restliche Einlage. Als dieser nichts zahlte, schloss der Insolvenzverwalter den Erwerber mit seinem Gesellschaftsanteil gemäß § 21 GmbH-Gesetz aus und erhob Klage gegen den Verkäufer auf Zahlung der restlichen Stammeinlage.
Obwohl das Oberlandesgericht Düsseldorf davon ausging, dass der Verkäufer des Mantels den Geschäftsanteil vollständig eingezahlt hatte, billigte er den Ausschluss des Erwerbers durch den Insolvenzverwalter. Ein Ausschluss eines Gesellschafters mit seinem Geschäftsanteil („Kaduzierung“) ist nach dem Gesetz allerdings nur möglich, wenn der Gesellschafter seine Stammeinlage einstens nicht vollständig eingezahlt hatte. Das war im Falle des Oberlandesgerichts Düsseldorf nicht der Fall, die Einlage war bei Gründung vollständig eingezahlt worden. Gleichwohl wandte das OLG Düsseldorf die Vorschriften über den Ausschluss von Gesellschaftern sowie über die an den Ausschluss anknüpfende Haftung des Rechtsvorgängers, also des Verkäufers (so genannte „Vormännerhaftung“, § 22 GmbH-Gesetz), auch auf die wirtschaftliche Neugründung an. Damit hat das OLG Düsseldorf die Unterbilanzhaftung erheblich ausgeweitet.
Gegen die Richtigkeit des OLG-Urteils bestehen allerdings erhebliche Bedenken. Dass Verkäufer eines GmbH-Anteils im Falle eines späteren Ausschlusses haften, hat seinen Grund darin, dass sie selbst schon Inhaber eines nicht voll eingezahlten Geschäftsanteils waren. Der Verkäufer, der seine Einlage nicht voll eingezahlt hat, soll sich durch den Verkauf seines Anteils nicht aus seiner Verantwortung stehlen können. Er weiß, dass seine Einlage rückständig ist und ist sich des Haftungsrisikos bei Veräußerung seines Geschäftsanteils daher voll bewusst. Er hat es auch selbst in der Hand, nicht in die Haftung genommen zu werden, indem er seine Einlageverpflichtung erfüllt. Ganz anders liegt der Fall dagegen beim Verkäufer eines Mantels, der die auf seinen Geschäftsanteil geschuldete Einlage voll geleistet hat. Er hat kann nicht steuern, was der Erwerber mit seinem Geschäftsanteil macht. Er kann den Erwerber weder zwingen, eine bestehende oder noch entstehende Unterbilanz auszugleichen, noch kann er überprüfen, ob der Erwerber das auch macht. Im Übrigen träfe ihn, wenn das Oberlandesgericht Düsseldorf Recht hätte, die Unterbilanzhaftung in voller Höhe, während der Veräußer eines nicht voll eingezahlten Geschäftsanteils nur für die rückständige Stammeinlage aufkommen muss, selbst wenn die Unterbilanzsumme viel höher läge.
Daher wird man darauf vertrauen müssen, dass der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung zur Unterbilanzhaftung nicht weiter ausweitet. Denn der BGH hat in seinem Urteil vom 9. Januar 2006 (Aktenzeichen II ZR 72/05, dort Randziffer 13) zum Ausdruck gebracht, dass die Unterbilanzhaftung bei wirtschaftlicher Neugründung nicht die Verkäufer trifft, sondern nur die neuen Gesellschafter und Geschäftsführer einer Vorrats- oder Mantelgesellschaft.
Die Rechtsunsicherheit ist durch das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf dennoch größer geworden, zumal das Urteil zum Teil recht unkritisch aufgenommen wurde. Insbesondere unter Insolvenzverwaltern macht sich die Auffassung breit, dass nicht nur die wirtschaftlichen Neugründer, sondern auch deren Rechtsvorgänger und Rechtsnachfolger gleichermaßen hafteten. Verkäufer von GmbH-Mänteln werden daher genau darauf achten müssen, was der Erwerber des Geschäftsanteils mit ihm anstellt. Man sollte daher immer anwaltlichen Rat suchen, nicht nur bevor man einen Mantel kauft, sondern auch bevor man einen Mantel verkauft.
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