Ohne Einwilligung ist Mithören am Telefon unzulässig

(Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Oktober 2002, Aktenzeichen: I BvR 1611/96 und 1 BvR 805/98)

Immer wieder hören Dritte über den Lautsprecher oder einen Zweithörer ohne Wissen des anderen Gesprächspartners Telefongespräche mit, um später in einem Zivilprozess als Zeuge präsentiert werden zu können. Die Gerichte hatten zwar alle mehr oder weniger Bedenken geäußert, ob solche Zeugenaussagen verwertet werden dürfen. Ein Großteil der Gerichte, auch der Bundesgerichtshof, hatten bis zuletzt aber keine grundsätzlichen Einwände gegen derartige Zeugenaussagen, weil das Mithören an modernen Telefongeräten einfach geworden und daher weit verbreitet ist. Die Gerichte gingen daher zumeist davon aus, dass der Gesprächspartner, der nicht möchte, dass jemand mithört, sich das ausdrücklich verbitten kann. Nur das Bundesarbeitsgericht hielt das Mithören für unzulässig.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem am 31. Oktober 2002 veröffentlichten Beschluss vom 9. Oktober 2002 über zwei Verfassungsbeschwerden entschieden:

Das Mithören, in das der andere Telefongesprächspartner nicht eingewilligt hat, ist unzulässig. Allerdings braucht die Einwilligung nicht ausdrücklich erklärt werden, sondern kann sich auch aus den Umständen ergeben.

Das Gericht macht das nicht am Fernmeldegeheimnis (Artikel 10 Absatz 1 Grundgesetz) fest. Denn das schützt nur davor, dass niemand die Leitung anzapft. Diesen Schutz muss allein der Staat gewährleisten. Durch das unerlaubte Mithören ist dagegen das Recht am gesprochenen Wort verletzt. Dieses Recht ist Teil des Persönlichkeitsrecht eines jeden (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz). Denn jeder soll selbst bestimmen dürfen, wer das eigene gesprochene Wort hören darf. Während man bei einem Gespräch in der Öffentlichkeit selbst bestimmen kann, was man sagt oder ob man es so leise sagt, das niemand anderes es mithören kann, so hat man keinen Einfluss darauf, was am anderen Ende der Telefonleitung geschieht. Das Bundesverfassungsgericht hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht mit dieser Entscheidung wieder einmal sehr hoch gehalten. Im Übrigen haben nach der Entscheidung auch juristische Personen des Privatrechts, also etwa eine GmbH, ein geschütztes Recht auf das gesprochene Wort.

Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht so schwer wiegt, dürfen Erkenntnisse, die von Zeugen unerlaubt mitgehört wurden, in der Regel nicht verwertet werden, weder im Zivilprozess noch im Strafprozess. Ausnahmen sind nur dann zulässig, wenn das Interesse an einer Beweiserhebung höher wiegt als das Persönlichkeitsrecht. Das ist im Strafverfahren nur dann der Fall, wenn es um die Aufklärung schwerer Straftaten geht. Im Zivilprozess soll das allgemeine Persönlichkeitsrecht zurücktreten, wenn derjenige, der den Beweis führen muss, sich in einer Notwehrsituation oder einer notwehrähnlichen Lage befindet. Als Beispiel nennt das Bundesverfassungsgericht die Anfertigung heimlicher Tonbandaufnahmen zur Feststellung der Identität eines anonymen Anrufers, der sich als eine andere Person ausgegeben hatte, um unter diesem Deckmantel Verleumdungen gefahrlos aussprechen zu können. Ein anderes Beispiel sind Maßnahmen zur Feststellung erpresserischer Drohungen. Das Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, reicht allein nicht aus.

Den Beschluss in voller Länge finden Sie im Internet unter:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/frames/rs20021009_1bvr161196

 

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